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Episode 9: Von der Taste zum Ton!

Der Gehäuseklang

Flügelresonanzboden Vermessung mit einem Laser Doppler VibrometerEs gibt solche kleinen Details, die erst einmal gar nicht weiter auffallen. Sind sie jedoch einmal im Bewusstsein werden diese Kleinigkeiten bedeutsam. Mir sind in diesem Zusammenhang einige solcher Details in den Sinn gekommen. Anhand 10 kleiner Episoden verfolgen wir den Impuls vom Finger durch den Flügel bis ins Ohr.

Nachdem im letzten Beitrag der Impuls in der entscheidensten Komponente, dem Resonanzboden angekommen ist, stellt sich die Frage, was kann jetzt noch kommen?

Hinsichtlich der Klangdiversität macht noch eine weitere Komponente einen bedeutenden Klangunterschied. Und zwar der Aufbau des Gehäuses. Hinsichtlich der Saiten und des Hammerkopfes scheint deren Einfluss auf die Klangvielfalt recht begrenzt. Dagegen ist der Resonanzboden sehr organisch. Da letzterer eingebettet in das Gehäuse ist, beeinflussen sich diese Komponenten gegenseitig. Das Gehäuse hat dabei zwei grundlegende Eigenschaften. Erstens entscheidet der Aufbau darüber, wieviel der Energie des Impulses im Resonanzboden bleibt, sprich vom Gehäuse zurück reflektiert wird. Zweitens beeinflusst das Gehäuse den Klang, indem der Impulsanteil im Gehäuse entweder als Reibung „verloren“ geht oder als Schall abgestrahlt wird. Hierzu habe ich leider noch keine Messungen, aber dafür einige Erfahrungen aus den vielen verschiedenen Flügelkonstruktionen.

Zunächst zu der ersten Frage, wie viel Energie das Gehäuse an den Resonanzboden zurück gibt? Aus den Überlegungen zur Impedanz ergibt sich, dass genau dann die meiste Energie reflektiert wird, wenn der Impedanzunterschied zwischen Resonanzboden und Gehäuse möglichst groß ist. Das ist genau dann der Fall, wenn das Gehäuse möglichst massiv ist oder wenn genau das Gegenteil gilt. Dies würde bedeuten, dass der Resonanzboden gar nicht mit dem Gehäuse verbunden ist. Da dies aber andere klangliche Nachteile hat, konnte sich der frei an den Saiten hängende Resonanzboden nicht durchsetzen. Die erstere Variante des möglichst massiven Gehäuses ist bei praktisch allen neuen Flügel standard. Man erreicht dies durch einen Rim der aus vielen dünnen Hartholzschichten zusammengeleimt wird. Ein Steinway Konzertflügel hat nicht nur unten einen sehr dicken Rim, auch die Aufsicht verrät wie massiv man sich das Gehäuse wünscht. Eines der wenigen heute noch produzierten Gegenbeispiele ist das Resonanzkastenprinzip von Bösendorfer. Hierbei wird das Gehäuse aus Fichten-Klangholz-Stücken zusammengeleimt. Daraus schließe ich, dass man hier bewusst nicht zwanghaft alle Energie im Resonanzboden belassen möchte, sondern dem Gehäuse erlaubt mitzuschwingen.

Womit wir bei der zweiten Frage sind, was passiert mit der Energie, die aus dem Resonanzboden in das Gehäuse abfließt. Nun ergibt sich für mich folgende Logik. Wenn man der Energie gestattet in das Gehäuse zu driften, möchte man doch dass das Gehäuse mit schwingt und nicht nur dämpft? Ansonsten wäre das Konzept klanglich nur nachteilig. Für den gegenteiligen Fall der massiven Steinway-Idee wäre es aber auch denkbar, dass man für einen reinen Ton die wenige Energie, welche aus dem Resonanzboden in das Gehäuse gelangt dort dann absorbiert, damit sie keine störenden Nebengeräusche produziert. Damit könnte man vier verschiedene Extrema durchspielen. Massives Gehäuse, sowie klingendes Gehäuse, jeweils mit und ohne Absorption.

Für den Fall des massiven Gehäuses ohne Absorption gilt, dass die aufgenommene Energie durch das Gehäuse geleitet wird bis der Impuls irgendwo resonieren kann. Dies kann an einer dünnwandigen Stelle sein aber auch in einem Schloss oder der Mechanik ein Scheppern auslösen. Daraus schließe ich der Vorteil einer niedrigen Absorption ist der, dass die Energie auch an andere Stelle wieder in den Resonanzboden eingeleitet werden könnte, der Nachteil sind störende Nebengeräusche.
Eine massive Konstruktion mit Absorption könnte Probleme mit Nebengeräuschen vermindern. Potentielle Quellen für Energieabsorption kommen von viskosen Klebstoffe, Verschraubungen und dicken Lacken.

Das klingende Gehäuse ohne Absorption bietet viel Potential für individuelle Klangcharakterisika, denn jede Gehäusekonstruktion bringe zusätzliche Eigenmoden. Das heißt wir können gedanklich die Eigenmoden von Gehäuse und Resonanzboden addieren. Die Gefahr von störenden Nebengeräuschen wird aber durch das klingende Gehäuse deutlich verstärkt. Das ist leider nicht nur bloße Theorie sondern Alltag solcher Konstruktionen. Würde man jetzt über den Ansatz der Variante vier versuchen durch Absorption die Gefahr der Nebengeräusche zu reduzieren, läuft man direkt Gefahr den Resonanzboden ebenfalls zu dämpfen da ja diese Komponenten gekoppelt sind. Aus meiner Sicht macht das klingende Gehäuse mit Absorption einfach keinen Sinn und man muss andere Wege finden die Nebengeräusche zu entkoppeln.

Hier sind ja nun die vier extrem Positionen geschildert und das reale Piano wird irgendwo dazwischen liegen. Ich denke auch, das im Klavierbau vieles aus Tradition gemacht wird und wurde und man sich nicht unbedingt bewusst für den einen oder andere Weg entschieden hat. Aber gerade deshalb ist dieses Gedankenmodell ein sehr scharfes Werkzeug der Analyse. Mit den oben genannten Absorptionsquellen im Sinn, können wir jetzt entsprechende Flügelmodelle untersuchen. Hinsichtlich der sehr massiven Steinway-Konstruktion macht es entsprechen nur einen geringen Unterschied ob nun vom Gehäuse ein bisschen mehr oder wenigen Energie absorbiert wird. Für alle klingenden Gehäusekonzepte macht es dagegen einen großen Unterschied. Wenn wir als Beispiel wieder bei dem Bösendorfer Resonanzkastenprinzip schauen, ergibt sich aus meiner Sicht eine Fehlinterpretation der Tradition. Obgleich das Resonanzkastenprinzip einen Bezug zum 19ten Jahrhundert aufweist, negieren die modernen verwendeten Lacke und Leime eben diesen Bezug.

Viele der alten Konstruktionen um 1900 setzen deutlich auf klingende Gehäuse-Konzepte. Seiner Zeit hatte man sich ob bewusst oder aus Erfahrung für Materialien mit geringen Dämpfungseigenschaften entschieden. Ich halte es daher für äußerst problematisch bei der Instandsetzung dieser alten Flügel blind auf moderne Materialien zurückzugreifen.

Dem neugirigen Leser empfehle ich einmal durch klopfen am Gehäuse Unterschiede zwischen verschiedenen Flügelkonstruktionen zu erkennen. Es ist verblüffend wie unterschiedlich die verschiedenen Geometrien und Materialien klingen. Viel Spaß beim Hören!